Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Horst Heinrich
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Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von Horst Heinrich »

TroubadixRhenus hat geschrieben: Kein Wort davon, dass es eigentlich in erster Linie um Personalabbau geht.

Und hier macht der Volkswirt in mir gegenüber den Betriebswirten der DB immer dieselbe Rechnung auf, daß nämlich die Wertschöpfung der Eisenbahner an der Lahn -wie überall- ungleich höher ist, als der pekuniäre Effekt ihrer Einsparung.
Will sagen: Jeder Schrankenwärter, jeder Fdl hat dieser Volkswirtschaft mehr zurückgegeben, als er sie gekostet hat.
Das kapiert aber keiner der Laptop-Strategen der New Economy und unsere dilettantischen Politiker, die das falsche Lied von Wettbewerb und Privatisierung nachsingen ohne Noten zu kennen und den Text zu verstehen, erst recht nicht.
Ein EStw wird die Konzernbilanz geringfügig verbessern, die Gesamtbilanz aber verschlechtern.

Inzwischen wird versucht, unseren Kindern einzureden, das Leben bestehe idealerweise daraus, mit einem Smartphone in der Hand, einem tollen Loft und einem lukrativen Job ("irgendwas mit PC") durchs Leben zu chatten und zu Jetsetten.
Die (oft unattraktive) Arbeit im Hintergrund aber erledigt sich offenbar von selbst - während die Ansprüche der digitalen Gesellschaft wachsen, schwindet die Zahl derer, die für ihre Erfüllung zu sorgen bereit sind.

In nicht allzu ferner Zukunft wird es zwischen Koblenz und Diez kein Bahnpersonal mehr geben.
Damit werden wieder 50 Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region wegfallen, die nicht kompensierbar sind, die Region wird auch dadurch unattraktiver für junge Leute.

All das wird natürlich vergessen, wenn es um betriebswirtschaftliche Optimierungen geht, überhaupt füllen die Schwierigkeiten der Vogelperspektive, Menschen, die in der Froschperspektive verharren, den Blick etwas zu weiten, Bände und es scheint wohl keinen Sinn zu machen, solche Zusammenhänge aufzuzeigen.

Das große Ganze gerät immer mehr aus dem Blick, Teilaspekte werden isoliert betrachtet und solange kritischer Parameter beraubt, bis eine Zahlenbilanz positiv erscheint.
Ein feiner Selbstbetrug.

Für mich ist jeder "eingesparte" Arbeitsplatz ein herber Verlust, der nicht gutzumachen ist.
SOLANGE NICHT DIE KULTUSMINISTERKONFERENZ EINE EINSTWEILIGE VERFÜGUNG ERWIRKT UND SIE MIR PERSÖNLICH AN DER HAUSTÜR ÜBERREICHT,BLEIBE ICH BEI DER ALTEN RECHTSCHREIBUNG.
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Lochris
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von Lochris »

Hallo,

ich habe das hier mal abgetrennt, damit der Nachrichten-Sammelbeitrag zum ESTW übersichtlich bleibt.

Insgesamt kann ich dir nur zustimmen. Der Arbeitsplatz "direkt vor der Haustür" ist weg und wer den gestrichen hat, hat zwar viel Papier gewälzt (oder Dateien), aber das große Ganze, wie du es beschreibst, nicht berücksichtigt.

Ganz interessant ist in dieser Hinsicht auch die Geschichte ebendieser Strecke, nachzulesen in den bekannten Büchern oder bei Wikipedia. Was damals geleistet wurde, hat den Betrieb für über 100 Jahre sichergestellt und nun wird das System so heruntergefahren (nicht erst jetzt, aber jetzt wird es vollendet), dass es auf dem Nötigsten läuft - dem Nötigsten laut Berechnung, aber vermutlich zu wenig in der Realität.

Viele Grüße,
Christian
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Dieselpower
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von Dieselpower »

Die Lahn steht hier aber nur beispielhaft für ein bundesweites, ja sogar globales Problem - wenn wir von Ländern/Bahnen sprechen, die Geld für so einen Schnickschnack übrig haben...Bei der Umstellung des HGK-Netzes ergab sich für die Fdl vor allem eine wichtige Änderung: Jeder Bf benötigte zwar weiterhin seinen eigenen Fdl, aber die zuvor heimatnah eingesetzten Fdl mußten fortan alle bis nach Hürth-Kendenich (mitten auf dem Acker zwischen Köln und Bonn) fahren, sitzen nun dort nebeneinander wie die Hühner auf der Stange, und sehen "ihren" Bahnhof nurmehr als bunte Striche auf dem Monitor. Hier ist dann sogar der "Sparfaktor" eher marginal...

Ein weiteres Risiko ist die Sabotageanfälligkeit dieser weitverzweigten Systeme. Auch wenn sich mittlerweile bei den Buntmetallfachkräften aus Rumänien, Bulgarien & Co. herumgesprochen hat, daß dort Glasfaser verbaut wurde, kommt es immer wieder zu solchen Problemen - ein Kabel durchtrennt, 100 Streckenkilometer lahmgelegt. Von den Fähigkeiten heutiger Hacker fang ich lieber gar nicht erst an...und nun sag mir keiner, das seien "sichere" Inselsysteme - das Pentagon und andere Hackeropfer stehen mit Sicherheit auch nicht im Telefonbuch....

Mich würde überdies interessieren, wie viele Reisende nun aufs Auto umsteigen, bloß weil sie fortan nicht nur im Regen (oder in viel zu kleinen Unterständen) stehen dürfen, sondern obendrein nicht mal mehr ein Ansprechpartner oder eine Person, die das Sicherheitsgefühl erhöht, anwesend ist....
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Lochris
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von Lochris »

Das mit den Hackern kam mir auch schon mal in den Sinn. Im harmlosesten Fall kommt es nur zum Absturz und alles steht. Aber was, wenn einer weiß, was er da tut? Die volle Kontrolle über ein Eisenbahnnetz in falschen Händen möchte ich mir nicht vorstellen.

Absolute Sicherheit verschaffen nur Inselsysteme und auch die müssen hardwareseitig sicher sein, es darf also keiner sich mit dem Laptop an Diagnoseanschlüsse setzen können etc.
IT-Sicherheit ist teuer und da Sparen ja offenbar ganz oben steht...
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von jojo54 »

Auf die Politik zu schimpfen und über Dinge zu diskutieren, die sich (leider) nicht mehr ändern lassen, dürfte in diesem Thread nur wenig bringen. Viel zu lange hat man geschwiegen und jetzt ist es zu spät.

Auch bei der Oberwesterwaldbahn scheint es Gedankengänge/ Planungen für ein ähnliches Stellwerksprojekt zu geben und es werden viele Arbeitsplätze wegfallen. Vielleicht sollte man dort versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Aber das dürfte wenig aussichtsreich sein.

Vielmehr sollten wir ALLE unser Augenmerk auf den Bahnhof Diez und die dortige Entwicklung im Hinblick auf eine Reaktivierung der Aartalbahn richten. Man kann nur hoffen, dass JEDER auch einen Plan "B" in der Schublade hat, falls das Projekt noch scheitert. Es wäre schade, wenn man dann übereilt die Verbindungsweichen und die benötigten Gleisflächen abbauen- und ein Anschluss an die Lahntalbahn unterblieben würde. Das sollte jetzt Priorität haben.

MfG
jojo54
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Dieselpower
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von Dieselpower »

Wie bei den meisten EStw-Projekten wird das mit Sicherheit mit weiteren Rückbauten verbunden sein, wenngleich ich auch nicht weiß, wo noch...denn: weniger Weichen=billigere Software.

Da ja hierzulande nichts anderes mehr zählt, hilft wohl nur noch wütendes Berichterstatten und das absehbare Ende eines großartigen Verkehrssystems in der Fläche abwarten....
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von eta176 »

Lochris hat geschrieben:Hallo,
ich habe das hier mal abgetrennt, damit der Nachrichten-Sammelbeitrag zum ESTW übersichtlich bleibt.
Hallo Christian,
besten Dank für das Abtrennen und den Titel des neuen und wichtigen Threads zu diesem Thema!
jojo54 hat geschrieben:Vielmehr sollten wir ALLE unser Augenmerk auf den Bahnhof Diez und die dortige Entwicklung im
Hinblick auf eine Reaktivierung der Aartalbahn richten. Man kann nur hoffen, dass JEDER auch einen
Plan "B" in der Schublade hat, falls das Projekt noch scheitert. Es wäre schade, wenn man dann übereilt
die Verbindungsweichen und die benötigten Gleisflächen abbauen- und ein Anschluss an die Lahntalbahn
unterblieben würde. Das sollte jetzt Priorität haben.
Wenn die "Querschüsse aus Holzheim" der Herren Ettlich, Felten und Weimar wirklich dazu führen,
die Reaktivierung in den Sand zu setzen, ist der "Plan B" definitiv ein Weiterbetrieb des Draisinen-
verkehrs auf kommunaler Trasse zwischen Freiendiez und der Landesgrenze bei Schiesheim. Doch
dazu wird es wohl nicht kommen und die Strecke wieder in Diez an die Lahntalbahn angebunden.
Ein Problem wird auf jeden Fall noch das (anscheinend vom Land geforderte) Planfeststellungsver-
fahren für die gesamte Strecke zwischen Bf. Diez und Zollhaus. Dies wäre wegen der Vielzahl von
komplett neu zu erstellender BÜ-Technik und neuer Haltepunkte unumgänglich, heißt es zumindest.
Inwieweit da eine Inbetriebnahme zum Ende 2016 gelingen kann, bleibt abzuwarten.

Gruß HaPe
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Lochris
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von Lochris »

http://forum.hunsrueckquerbahn.de/viewt ... 12#p188332

"Unendliche Weiten"? Welcher Werbetexter war denn da am Werk? :lol:
Unendliche Weiten verbinde ich mit Wüsten oder dem Ozean, aber mit dem engen und beschaulichen Lahntal? So massig viele Gleisanlagen zum Kontrollieren gibts ja seit längerem auch nicht mehr. Sie hätten das seyfert'sche "Stille Idylle" nehmen sollen...

Interessant ja auch auf der Bahnseite:
Diese Strecke führt über folgende Stationen (Änderungen vorbehalten):
Koblenz Hbf, Niederlahnstein, Friedrichssegen, Nievern, Bad Ems West, Bad Ems, Dausenau, Nassau (Lahn) [...]
Änderungen vorbehalten...
TroubadixRhenus
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von TroubadixRhenus »

Die Bahn folgt doch hier nur dem allgemeinen Trend, der in allen Bereichen der öffentlichen Infrastruktur weitergetrieben wird, in dem teils lebensnotwendige Infrastruktur ohne Redundanz zusammenrationalisiert und automatisiert wird! Ich befürchte, und da wiederhole ich mich wohl, dass uns diese beispiellose Dekadenz mal teuer zu stehen kommt! Sollte es jemals wieder zu kriegerischen Handlunden hierzulande kommen (und jetzt bitte nicht soetwas wieder als spinnerte Utopie abtun - wer die aktuellen Nachrichten verfolgt sollte wissen, was ich meine!), dann könnte der Totalausfall der Infrastruktur und in der Folge der sicherlich eintretende zusammenbruch aller öffentlichen Ordnung mehr Todesopfer fordern als die eigentlichen Kampfhandlungen!

Nochmal: Diese Dekadenz von der ESTW-Seuche ist ja nur ein winziger Teilaspekt. Diese ganze 'Susi-Sorglos-Smarttechnik' wird uns alle mal sehr teuer zu stehen kommen!
TroubadixRhenus
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von TroubadixRhenus »

Was vielleicht noch hierher gehört:

U.A. "dank" der smarten ESTW-Technik hat vor Kurzem ein entgleister Waggon das Schotterbett zwischen Lorch und Rüdesheim umgepflügt. Der fliegende Schotter spritzte auf die B42 und zerschlug laut den Berichten unseres Lorcher Winzers etliche Fensterscheiben der Anwohner. Dass es keinen Personenschaden gab, war pures Glück.

Wenig später fuhr ein brennender Autotransportwagen weiter nördlich auf der rechten Rheinstrecke als Fackel spazieren.

In beiden Fällen war man vermutlich auf den Notruf des Gegenzugs angewiesen - an der Strecke gibt es dort ja (fast) keine Eisenbahner mehr, die soetwas mitkriegen würden.
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Lochris
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von Lochris »

Der Güterzug 2013 war in der Tat ein großer Glücksfall im Unglück. Da das ganze zu sehr früher Stunde passierte, waren kaum Autos unterwegs und keine Fußgänger. Die Schottersteine wurden damals wohl teilweise mit dem Schneepflug von der Straße geräumt...

Evtl. gibt es auch einen Unterschied zwischen Hauptmagistralen, über die regelmäßig Gefahrgüter laufen und die Zugdichte enorm ist (laut diversen Anwohnern ja Dreimnutentakt :lol: ), und einer (heute) eher unbedeutenden Strecke wie der unteren Lahn mit ihren vielleicht fünf Güterzügen am Tag.
Demnächst hängen an den Haltepunkten neben "Beleuchtung defekt?" noch Schilder "Brennender Güterzug? Jetzt die DB Netz informieren." :roll: . Wirkunsgvoll wären vielleicht Kameras ähnlich wie an den Bahnübergängen. Dann würden die Fdl in Diez ihre Züge wenigstens noch ein paar Mal unterwegs einsehen können.
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Marcel Zehl
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Re: Sinn und Folgen eines ESTW an der Lahn

Beitrag von Marcel Zehl »

mit ihren vielleicht fünf Güterzügen am Tag
Hey, es sind immerhin bis zu 11! :roll: :lol:
Es besteht aber durchaus die Chance, den Güterverkehr noch etwas zu erweitern, das ESTW wird ja rund um die Uhr besetzt sein (wenn auch mutmaßlich nur werktags).
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit.
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