Fahrplan 1939: Meisenheim-Glantalbahn-Rheinstrecke-Herborn

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Kilowatt
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Fahrplan 1939: Meisenheim-Glantalbahn-Rheinstrecke-Herborn

Beitrag von Kilowatt »

Hallo zusammen,

in DSO kam der Vorschlag auf, ein "historisches HAFAS" aufzubauen: http://www.drehscheibe-online.de/foren/ ... 17,7519255

Ich finde diese Idee super. Ich stöbere selber liebend gerne in alten Kursbüchern und schaue mir das Zugangebot auf den einzelnen Strecken an, suche aber auch gerne mal für längst vergangene Jahre die günstigste Zugverbindung heraus - und zwar nicht nur die Direktverbindungen von Hamburg nach Berlin oder zwischen Kreuznach und Mainz oder mal eine einfache Umsteigeverbindung von Garmisch über Murnau nach Oberammergau, sondern vielleicht für eine 1939 tatsächlich stattgefundene Reise von Meisenheim nach Herborn. Und dann hat man echt zu blättern und muss sich zig Zwischenzeiten notieren.

Weil diese Reise vielleicht den einen oder anderen Hunsrückforisten interessiert, schreibe ich hier mal nichts Weiteres zu Sinn oder Unsinn eines Histo-Hafas, sondern zu unserer regionalen Zugverbindung.

Hintergrund meiner Studie war, dass eine Verwandte mir berichtete, im Sommer 1939 (kurz vor Kriegsbeginn) zu Verwandten nach Herborn gereist zu sein. Sie war sich ziemlich sicher, in Koblenz umgestiegen zu sein. Der Wochentag blieb leider im Dunkeln, so dass sich mehr Varianten ergeben. Ich wollte zunächst einfach nur wissen, wie lange diese Reise, die man heute mehrmals täglich in 3 Stunden 23 Minuten zurücklegen kann (Umsteigen in Staudernheim und Frankfurt), damals wohl gedauert haben mochte, und ob man quasi automatisch die „Strategische Bahn“ auf der rechten Naheseite oder gar die Hindenburgbrücke benutzt hat. Auch wenn mir klar war, dass die Netzdichte damals wesentlich größer, die Zugdichte jedoch deutlich geringer war als heute, so hat mich das Ergebnis doch ein wenig erschüttert. Man war ewig unterwegs und hatte z.T. irre lange Wartezeiten. Seht selbst!

Die folgende Fahrzeiten-Übersicht entstammt dem Sommerfahrplan 1939 und konzentriert sich auf eine „Tagesrhythmus-verträgliche“ Abfahrtszeit in Meisenheim um 7.46 oder 10.14 Uhr sowie eine Abfahrt um 8.16, welche sogar einen Umsteigevorgang (in Bad Münster) sparte, allerdings nur sonntags möglich war. Für diese Verbindungen sind alle denkbaren Varianten zuschlagspflichtiger und -freier Züge angegeben.

Eine Abfahrt in Meisenheim um 7.02 oder gar (mit dem ersten Zug) um 5.58 war sinnlos, da man wegen einer vormittäglichen „Fahrplanlücke“ auf der Lahntalbahn zur selben Zeit in Wetzlar ankam wie wenn man erst um 7.46 in Meisenheim losfuhr. (Von Limburg gab es zwischen 9.22 und 12.05 keinen Zug in Richtung Wetzlar.)

Eine Abfahrt in Meisenheim um 12.18 hätte zu einer Ankunft in Herborn um 20.08 geführt, was nach fast 8-stündiger Zugfahrt unnötig spät wäre, zumal man den Vormittag „sinnlos verschenkt“ hätte, außerdem hätte diese Verbindung ein zusätzliches Umsteigen in Staudernheim erfordert.

Die folgende Tabelle enthält:
  • alle Züge, die zwischen 7 und 15 Uhr von Meisenheim aus „in die richtige Richtung“ (also nach Bad Münster oder Staudernheim) losfuhren sowie die sich daraus ergebenden Anschlüsse nach Bingerbrück. (Zwischen Staudernheim, Bad Münster und Bingerbrück fuhren also noch deutlich mehr Züge als in der Tabelle.)
  • alle Züge, die Bingerbrück zwischen 8 und 13 Uhr in Richtung Koblenz verließen
  • alle Züge, die Koblenz zwischen 8 (!) und 16 Uhr über die Lahntalbahn verließen und bis Wetzlar durchfuhren oder dorthin Anschluss hatten. (Auf der Lahntalbahn gab es innerhalb dieser Uhrzeiten noch weitere Züge, die aber nur Teilabschnitte befuhren.)
  • alle Züge, die Wetzlar zwischen 13 und 19 Uhr in Richtung Herborn verließen (ausgenommen einen bP-Zug um 15.24, der aber nur während der Sommerferien verkehrte und für eine Fahrt von Meisenheim keinen Anschluss herstellte)
Bild

Die gesamte Fahrt (232,0 km) kostete damals für Erwachsene 9,20 RM in der 3. Klasse. Kinder von 4 bis 10 Jahren zahlten die Hälfte. Für Fahrten auf bestimmten „Ausflugs-Verbindungen“ unter 200 km an Sonn- und Feiertagen gab es sog. Sonntagsrückfahrkarten, die um 1/3 billiger waren. Meisenheim – Koblenz könnte dazu gehört haben, evtl. auch Herborn – Koblenz.

D-Züge kosteten einen Zuschlag, der von der Klasse und der Entfernung abhing, allerdings ist mir unklar, ob der Zuschlag nach Länge der gesamten Reise berechnet wurde oder nur für den im D-Zug zurückgelegten Teilabschnitt. Gekostet hätte der Abschnitt am Rhein (61,0 km) ebenso wie der Abschnitt Wetzlar – Herborn (22,5 km) jeweils 50 Pfennig (alles unter 75 km), die Lahntalbahn (103,7 km) 1,00 RM und die Gesamtstrecke (über 225 km) 2,00 RM. (Die Zuschläge erhöhten sich in 75-km-Stufen bis max. 300 km.) Eilzüge kosteten jeweils die Hälfte des D-Zug-Zuschlags.

Wie man oben sieht, ist der („offizielle“) Anschluss in Bingerbrück etwas knapp. Verpasst man den D-Zug um 11.21, fährt exakt eine Stunde später (was ein seltener Zufall war) der nächste, der allerdings nicht in Boppard hält und dadurch 6 Minuten schneller ist. Mit diesem D-Zug erreicht man in Koblenz einen Eilzug nach Wetzlar, so dass man dort mit etwas Glück sogar noch den ersten Zug (15.33) nach Herborn bekommen konnte.

Wollte man das Geld für D-Zug-Zuschläge sparen, kam man erst um 18.28 in Herborn an, und auch dies nur mit einem etwas knappen Anschluss in Wetzlar. Ging dieser schief, musste man das letzte Stück doch noch D-Zug fahren – oder nochmal 24 Minuten später ankommen.

Viermal am Tag gab es sogar einen direkten Zug von Bad Münster über die nur 30 Jahre bestehende Binger Hindenburgbrücke nach Rüdesheim, außerdem abends noch einen von Bad Kreuznach bis Rüdesheim. Man konnte also auch statt in Bingerbrück in Rüdesheim umsteigen und ab dort direkt auf der rechten Rheinseite weiterfahren, die man hinter Koblenz sowieso erreicht hätte. Schneller war das allerdings wegen der völlig unkoordinierten Anschlüsse i.d.R. auch nicht. Lediglich wenn man sonntags und nur mit Personenzügen fahren wollte, gab es einen Fall, wo der Weg über die Rechte Rheinstrecke gleich schnell (7:41) war wie der über die Linke. Allerdings musste man dabei einmal mehr umsteigen.

[Konkret: An Sonntagen bestand die schnellste Verbindung nur mit Personenzügen, wenn man in Meisenheim um 8.16 den (Sonntags-) Zug nach Bingerbrück bestieg. Diesen konnte man aber auch in Bad Münster verlassen (an 8.45), um dort eine Stunde später (ab 9.53) einen Hindenburgbrücken-Zug nach Rüdesheim zu nehmen (an 10.29). Von Rüdesheim fuhr um 11.05 ein P-Zug über die Rechte Rheinstrecke bis Niederlahnstein (gegenüber Koblenz), wo er um 12.34 ankam. Um 12.49 konnte man dort in den in der o.g. Tabelle enthaltenen P-Zug durchs Lahntal bis Wetzlar weiterfahren (an 15.22), und weiter ging es wie oben in der Tabelle – also 15.33 mit bP nach Herborn, dort an 15.57. (Der P-Zug auf der Rechten Rheinstrecke wurde unterwegs übrigens von einem Eilzug Frankfurt – Nijmegen (Holland) überholt, dieser fuhr Rüdesheim ab 11.12 und erreichte schon um 12.12 Niederlahnstein.)]

Zwischen 6 und 13 Uhr gab es nur die in der Tabelle genannten vier D-Züge sowie einen Eilzug, die Bingerbrück nordwärts verließen. In Bingerbrück hielten alle Fernzüge bis auf zwei Nacht-D-Züge (die nur während der Sommerferien fuhren) und drei FD-Züge (darunter der „Rheingold“ sowie ein neuer Dieseltriebwagen.) Allerdings gab es auf der Rechten Rheinstrecke 12 weitere D- bzw. L(uxus)-Züge, die z.T. in Rüdesheim hielten, manche sogar auch oder stattdessen in Eltville oder gar St. Goarshausen. Zu den „Lebensläufen“ der o.g. Fernzüge von Bingerbrück:

7.04 Uhr: E 301 fuhr von Frankfurt nach Dortmund, hielt im Mittelrheintal in Bacharach, Oberwesel, St. Goar und Boppard und führte Sitz(!)-Kurswagen mit, die mit dem D 93 aus München (ab 22.43 Uhr) über Stuttgart kamen. Zu essen gab es im E 301 nichts, auch die 1. Klasse suchte man vergeblich.

8.47 Uhr: D 47 fuhr von München über nach Ingolstadt, Nürnberg, Wiesbaden, Oberhausen und Dortmund nach Norddeich, wo er Anschluss an die Fähre nach Norderney bot. Er hielt auch in Mainz-Kastel (!) und Boppard. Bis Wiesbaden (8.07) liefen Schlaf- und Postwagen mit, bereits in Frankfurt wurden ein Speisewagen sowie Kurswagen nach Emden-Außenhafen (zur Fähre nach Borkum) angehängt. In Neuss schließlich verließen die Kurswagen ins benachbarte Krefeld den Zug, in Münster wurden von Mönchengladbach (über Duisburg und Hamm) kommende hinzugefügt. Bis auf die Krefelder und Mönchengladbacher Kurswagen war überall auch die 1. Klasse vertreten.

10.09 Uhr: D 161 fuhr von Heidelberg nach Mönchengladbach und hielt auch in Bahnhöfen wie Bingen-Stadt, St. Goar, Boppard und Königswinter (nicht jedoch in Beuel gegenüber von Bonn, was damals noch eigenständig und keine Hauptstadt war). Er bot alle drei Klassen, aber weder Post- noch Kurs- noch Speisewagen, nur eine Art „Minibar“.

11.21 Uhr: D 303 war ein klarer „Kurzstrecken-Zug“, er fuhr nur von Frankfurt bis Köln-Deutz, hielt auch in Bingen-Stadt und Boppard und führte weder 1. Klasse noch Kurs- oder Speisewagen, dafür aber einen Postwagen und eine Art „Minibar“.

12.21 Uhr: D 249 war ein echter „Langstrecken-Zug“. Zwischen Bingerbrück und Koblenz hielt er nirgends. Er fuhr von Basel DRB (Badischer Bf.) nach Arnhem (Holland) und führte bis zur holländischen Grenze bei Emmerich auch einen Speisewagen, dafür keinen Postwagen. Schon in Basel bekam er Kurswagen aus Ventimiglia mit (über Genua – Mailand – Gotthard – Luzern), in Mannheim bekam er weitere Kurswagen aus Friedrichshafen am Bodensee und gab eine Kurswagengruppe nach Hamburg ab. All seine Wagengruppen umfassten die 1., 2. und 3. Klasse.

Wer bis hierhin gelesen hat, dem sage ich nun ausdrücklich (ebenso wie allen Anderen)

viele Grüße!
kW
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Horst Heinrich
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Re: Fahrplan 1939: Meisenheim-Glantalbahn-Rheinstrecke-Herbo

Beitrag von Horst Heinrich »

Hallo kW, ich habe bis zum Schluß durchgehalten :D und finde Deine Arbeit beachtlich und auch sehr gelungen.

Damals wie auch noch zu meiner Kindheit und Jugend gehörte -in Anlehnung an ein Konfuzius-Wort- schon der Weg zum Ziel einer Reise. Umstiege und Wartezeiten galten nicht als lästige Zeitverschwendung, sondern boten einem Einblicke in ein phaszinierendes Geschehen im und neben dem Bahnbetrieb.
Schon der Aufenthalt in einem "popeligen" Wartesaal -in der linken Hand ein gekochtes Ei, in der rechten ein Butterbrot- bescherte interessante Eindrücke, allein z.B. durch die aufgehängten Plakate.
Deine Fahrt von 1939 läßt diese Reisekultur noch einmal auferstehen, man sieht förmlich die Reisenden vor sich und stellt sich vor, wie sie ihr Umfeld erlebt haben.
Eine mehrstündige Bahnfahrt vom Nahetal in den Westerwald konnte man auch in den 1970er Jahren noch erleben - unvergeßlich!
Und am Ende wartete die Verwandtschaft noch am Bahnhof und nahm einen in Empfang, auch das ist heute undenkbar, wo es mittels WhatsApp halbstündige Vollzugs- und Standortmeldungen gibt.

Ich kann dem Projekt nur viel Erfolg wünschen - ein historisches Hafas-Programm, es wäre genial.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich aber auch noch einmal an die unschlagbare Kursbuch-Kompetenz der einstiegen Verkehrsbeamten oder denen des "allgemeinen Dienstes" erinnern.
Gerade letzteren gelang bei all den sonstigen betrieblichen und verkehrlichen Pflichten, die abzuarbeiten waren, oft innerhalb kürzester Zeit eine profunde und stimmige Zugauskunft, auf die man sich verlassen konnte.
SOLANGE NICHT DIE KULTUSMINISTERKONFERENZ EINE EINSTWEILIGE VERFÜGUNG ERWIRKT UND SIE MIR PERSÖNLICH AN DER HAUSTÜR ÜBERREICHT,BLEIBE ICH BEI DER ALTEN RECHTSCHREIBUNG.
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