Nach dem Prolog, der den Servicequantensprung beim Verlassen des kontinentaleuropäischen Hoheitsgebietes beschrieb, geht es nun ab dem grandiosen, aber schwer fotografisch umsetzbaren Bf. St Pancras International weiter.
Mit frisch validierten BritRail Pässen wollten wir nun nach East Midlands Parkway fahren, nach eindringlicher Google-Luftbildforschung erschien mir dieser Bahnhof, der im Januar 2009 "auf der grünen Wiese" als Umsteigebahnhof und zentral gelegene P+R-Station sowie ÖPNV-Verknüpfungspunkt gleich neben dem E.ON-Kraftwerk Ratcliffe-on-Soar eröffnet wurde, als am besten geeignet, ggf. bei schönem Wetter (was sich jedoch erledigen sollte) mit einer Straßenbrücke in der Nähe. Der Stationsname "Parkway" bedeutet nicht selten eine Station jenseits aller urbaner Bebauung. Wir ließen uns von der Tafel nach Gleis 2a lotsen, noch unwissend, daß der Index "a" von einer gewissen Bedeutung war. Wir enterten den hinteren der beiden "Meridian"-Triebzüge der Class 222 von East Midlands Trains, und suchten uns ein paar schöne, nicht reservierte Plätze, von denen wir alsbald von einem resoluten älteren Paar vertrieben wurden, nachdem sie auf meine Frage "Are you sure to be in the right train?" mir ganz erbost ihre Reservierung unter die Nase hielt, und so gingen wir in den nächsten Wagen. Eine schnell gesprochene Durchsage ließ dann in mir auch erste Zweifel aufkommen - und es war so wie es kommen mußte, der erste 222 dieselte pünktlich aus der Halle heraus, und ließ uns stehen. Wie sich herausstellte, saßen wir in einem zusätzlichen Zug anläßlich des Late May-Bank-Holiday, der im Blockabstand dem anderen folgte, das Problem war also marginal. Die Motoren liefen ja auch schon die ganze Zeit. Und so ging es los, und das Gratis-Bier (Kronenbourg) aus dem EST forderte seinen Tribut, und nach meiner Rückkunft von der blitzsauberen (wie immer in GB!) Toilette verschwand ich mit einem Grinsen und der Kamera wieder eben dort hin. Hätte nie gedacht, daß das erste Tourbild eine Zugtoilette sein würde:
Stehen bei uns doch nur nüchterne Hinweise auf den drohenden Ausfall des Klos bei Einwurf nicht adäquater Gegenstände dort geschrieben, liest man beim Öffnen des Klodeckels auf unnachahmlich britische Art:
"Bitte spülen sie keine Servietten, Damenbinden, Papierhandtücher, Kaugummi, (und jetzt kommt's...) alte Telefone, unbezahlte Rechnungen, Werbeblättchen, den Sweater deines Ex, Hoffnungen, Träume oder Goldfische diese Toilette hinab!"
Nun wurden wir jedoch gewahr, daß unser Zug nicht in East Midlands Parkway halten würde, und so bekamen wir einen nun doch fast einstündigen Aufenthalt in Leicester (sprich L'ester), aber dafür noch eine Fahrt in den EMT-HSTs, welche als einzige der britischen HST-Gesamtflotte nicht mit MTU-Aggregaten, sondern mit geringfügig weniger leistungsstarken Paxman-Motoren vom Typ 12VP185 modernisiert wurden - welch ein Klang, herrlich....hier sehen wir jedoch erst einmal den Meridian in seiner 5-teiligen Variante im Bahnhof Leicester - das Wetter war ganz toll...:
Der Meridian ist die um einiges großzügiger bestuhlte Variante des Voyager und Super-Voyager der Class 220 und 221, welche wir schon vor 2 Jahren bei der DB-Tochter Cross Country kennenlernen durften. Diese beiden Baureihen zeichnen sich durch eine ziemliche Enge, die leider so modern gewordene Ungleichheit zwischen Bestuhlung und Fensterteilung und eine nur bedingte Fernverkehrstauglichkeit aus, schon durch ihre Länge von nur 4 bzw. 5 Wagen. DB Regio mutet seinen Kunden das auf so "kurzen" Strecken wie Penzance - Aberdeen (Fahrzeit: 11:23 Stunden!) zu, und das, obwohl sie fünf komfortable HSTs haben. Einen solchen in der sehr schicken EMT-Farbgebung (die des Mutterkonzerns Stagecoach, welcher hauptsächlich im Bus- und Stadtverkehr aktiv ist) sehen wir beim Zwischenhalt im verregneten, wenig fotogenen Bf Leicester, die Abfahrt war sogar hinterher auf dem Video ein Ohrenschmaus...
Dann ging es endlich weiter - ebenfalls im HST nach East Midlands Parkway. Wir nahmen im letzten Wagen vor der schiebenden Lok (nochmal zur Erinnerung, der HST ist ein Reisezug mit zwei Sandwich-Loks in Stromlinienform, kein Triebzug im eigentlichen Sinne, daher auch die Bezeichnung der Triebköpfe im Nummernbereich der Lokomotiven - Class 43) Platz, und konnten so auf die Schnelle noch bei der Ankunft ein Treffen zweier HSTs vor der markanten Kühlturmkulisse ablichten:
Während bei EMT die HSTs meist zwischen London und Nottingham eingesetzt werden, sind die Meridians zwischen London und Derby/Sheffield unterwegs. Hier noch einmal der gen London abfahrende HST:
East Midlands Parkway, dieser erst 5 Jahre alte Bahnhof entstand wie schon oben gesagt "auf der grünen Wiese", kurz vor dem Knoten Trent South Junction, wo sich u.a. die Strecken nach Nottingham und Derby trennen. Er stellt einen Verknüpfungspunkt zwischen Nah-, Fern- und Busverkehr sowie einem Flughafenshuttle dar, und bietet 850 P+R-Plätze, die in der Regel zu 100% ausgelastet sind, obwohl die Fahrgastzahlen hinter den Erwartungen etwas zurückblieben. Dennoch bietet der Bahnhof alle Annehmlichkeiten: einen Schalter, der zwischen 6:00 Uhr (Sonntags 7:30) und 19:30 Uhr geöffnet ist, Fahrkartenautomaten, ein Café, Warteraum, Geldautomat, Toilette und was in GB noch alles wie selbstverständlich dazugehört. Alles zusammen über modernste Technik (Erdwärme mit Fußbodenheizung) angenehm temperiert. Wolle deckt sich gerade in einer Zugpause mit Fahrplanblättchen ein....
...bevor man aus lauter Langeweile und ob des miesen Wetters Bildexperimente mit den Kühltürmen wagt.
Schnell noch einmal ein Bild eines nach London davoneilenden Meridian. Jawohl, den Meridian mit seinen ungewöhnlichen Drehgestellen (Radsatzlager innenliegend mit sichtbaren Radbremsscheiben) gibt es in verschiedenen Konfigurationen: 5- und 7-teilige, sowie die 4-teilige Unterbauart 222/1. Diese vier Exemplare kamen von First Hull Trains, wo sie durch Class 180 "Adelante" ersetzt worden waren, und werden auf schwach frequentierten Diensten oder als Verstärkung genutzt. Hier sehen wir einen von ihnen...
Dann setzten wir unsere Reise fort, und fuhren nur wenige Minuten weiter nach Derby, wo wir wieder die Richtung wechselten, und wegen des anschwellenden Reisendenandrangs (Das verlängerte Wochenende neigte sich dem Ende entgegen, auch in der 1. Klasse wurde es voller...) diverse Varianten durchspielten. Schließlich wurde es dann doch die Variante über Birmingham New Street und von dort aus mit einem Virgin Trains Pendolino nach Carlisle - allmählich machte sich die lange Reise auch bei der Kondition bemerkbar. In Birmingham genossen wir erst mal die Wartezeit in der 1st Class Lounge von Virgin Trains, diese Verkehrssparte des Mischkonzerns des Multimilliardärs Sir Richard Branson zeichnet sich durch hervorragenden Service aus, und sticht aus dem ohnehin guten Angebot noch hervor. Dann nahmen wir im ersten Wagen des 390124 Platz, um unserem Zielort Carlisle entgegen zu fliegen, und ich sage mit Absicht Fliegen, das unglaublich leise laufende Fahrzeug (immerhin auch schon 10-13 Jahre alt) mit seiner FIAT-Neigetechnik "flog" nur so gen Norden, wobei wir überrascht waren, wie schön und wie gebirgig der Nordwesten Englands ist, wir fuhren durch die Grafschaft Cumbria, den Lake District, wobei die Strecke nicht selten den Charakter einer Gebirgsbahn hatte. Wir waren die West Coast Mainline (WCML) ja schon mehrmals gefahren - allerdings Nachts im Schlafwagen. Das Wetter zeigte sich zum Abend hin auch freundlicher, und so wurde die letzte Reiseetappe bei allerlei kostenlosen Annehmlichkeiten (Getränke, eine Snackbox...) zu einem wahren Genuß. Als der Tag sich dem Ende zu neigte, erreichten wir Carlisle mit unserem feinen Zug, wir lernten die 390er übrigens lieben, sie waren in diesem Jahr öfter unser Verkehrsmittel. Mit im Bild die unvermeidlichen, überall auffindbaren "Nasentürer" der Sprinterfamilie aus den 80er Jahren.
Verschiedene Kopfformen für verschiedene Einsatzbereiche....
Da in GB Trainspotter keine Seltenheit sind, dachten wir uns zunächst nichts dabei, daß einer von ihnen mit der Kamera zugegen war, als es jedoch auf den Außengleisen rumpelte, wurden wir neugierig. Direct Rail Services (DRS) überraschte uns mit einem "Castor"-Transport, wenn man ihn denn so nennen will. Die "nuclear flask"-Transporte gehören dort zum täglichen Bild, keine Sicherheitsvorkehrungen, aber auch keine Demonstranten, keine Proteste, keine Gewalt. Gewaltig hingegen wurde am 17.7.1984 gegen einen solchen Behälter zu Testzwecken vorgegangen. Auf dem "Old Dalby test track" jagte man eine 140-Tonnen-Lok der Class 46 mit einigen Reisezugwagen behängt mit Tempo 100 in einen diagonal zum Gleis stehenden "flask"-Waggon. 100 Meilen wohlgemerkt, also 161 km/h. Während Lok und Reisezug sowie der Transportwagen mehr oder weniger komplett zerstört wurden, blieb der Behälter unversehrt... Ein Video dieser spektakulären Aktion gibt es hier!
An diesem Abend erfreute uns DRS mit einer gemischten Traktion aus einer Class 37 und einer Class 20, einst bekannt als English wegen die Class 20 am liebsten "Schnauze an Schnauze" in Doppeltraktion fährt, so ist sie als "Booster" einer Class 37 gleich gut geeignet.Electric Class 1 bzw. EE Class 3. Sogar diese unterschiedlichen Loks sind untereinander kompatibel, auch wenn man der Streckensicht
Die letzten Sonnenstrahlen beleuchteten dann auch noch das letzte Motiv des Tages, einen "Super Sprinter" der Class 156. Ähnlich wie einst bei uns der 628 wurde die Sprinter-Familie in den 80ern gern als "Retter der (schwächer ausgelasteten) Hauptbahnen" bezeichnet. Heute bilden sie in vielen Regionen tatsächlich noch das Rückgrat des einfachen Nahverkehrs, zusammen mit den britischen "Schienenbussen" der "Pacer"-Klassen. Ein solcher hängt übrigens hinten an dem Sprinter dran, auch die sind untereinander kompatibel!
Wenn auch der Sprinter dem Lokführer wenig Komfort bietet, so ist die Durchgängigkeit mehrerer gekuppelter (und zusammen in Traktion fahrender) Triebwagen verschiedener Baureihen ein unschätzbarer Vorteil für Reisende - und das auf vielen Relationen (sogar im Nahverkehr) selbstverständliche Catering durch einen "trolley".
Danach ging es dann ins Hotel, das nur drei Gehminuten entfernt lag, bei einer Pizza und einem kühlen Bierchen ließen wir den Tag dann ausklingen, und fielen in die Betten...schließlich sollte es am nächsten Morgen zeitig auf die Settle-Carlisle gehen.
Cumbria/Scotland 2014, Tag 1 - Anreise
- Dieselpower
- Direktor A15
- Beiträge: 2780
- Registriert: Di 24. Dez 2013, 00:34
- Kontaktdaten:
Cumbria/Scotland 2014, Tag 1 - Anreise
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Albert Einstein
"Ich bin, wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich...!"
Konrad Adenauer
Albert Einstein
"Ich bin, wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich...!"
Konrad Adenauer
- Heiner Neumann
- Amtsrat A12
- Beiträge: 1189
- Registriert: Di 17. Feb 2009, 16:21
Re: Cumbria/Scotland 2014, Tag 1 - Anreise
Sehen die Dieselloks nur so wuchtig aus, oder ist der Sound auch entsprechend?
Ansonsten klasse Bilder und tolle Eindrücke, auch wenn das Wetter eben typisch für die Insel ist. Wie sagte man schon bei Asterix: "Habt Ihr hier oft solchen Nebel? - Gute Güte, nein, nur wenn es nicht regnet!"
Gruß
Heiner
Ansonsten klasse Bilder und tolle Eindrücke, auch wenn das Wetter eben typisch für die Insel ist. Wie sagte man schon bei Asterix: "Habt Ihr hier oft solchen Nebel? - Gute Güte, nein, nur wenn es nicht regnet!"
Gruß
Heiner
Wenn Du ein Licht am Ende des Tunnels siehst, bete, dass es kein Zug ist !!!
Vertraue nur Deinem eigenen Hintern - denn nur er steht immer hinter dir!
Vertraue nur Deinem eigenen Hintern - denn nur er steht immer hinter dir!
- Dieselpower
- Direktor A15
- Beiträge: 2780
- Registriert: Di 24. Dez 2013, 00:34
- Kontaktdaten:
Re: Cumbria/Scotland 2014, Tag 1 - Anreise
Die hören sich nicht nur wuchtig an, die können Basslautsprecher kaputtblubbern...
Video hab ich auch, aber das kommt am Schluß - bis dahin:
https://www.youtube.com/watch?v=wcfWNGCrnnw
Video hab ich auch, aber das kommt am Schluß - bis dahin:
https://www.youtube.com/watch?v=wcfWNGCrnnw
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Albert Einstein
"Ich bin, wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich...!"
Konrad Adenauer
Albert Einstein
"Ich bin, wie ich bin. Die einen kennen mich, die anderen können mich...!"
Konrad Adenauer