1948: Eine verhängnisvolle Tunnelfahrt in Cochem (viel Text)
Verfasst: Do 22. Jan 2009, 23:45
Hallo allerseitZ,
gerade hab ich einen Text aus dem Heimatjahrbuch 1997 des Kreis Cochem-Zell abgetippt, weil im Forum von Eisenbahn-Romantik nach einem tragischen Ereignis gefragt wurde. Ich finde, der Text ist auch hier sehr interessant:
gerade hab ich einen Text aus dem Heimatjahrbuch 1997 des Kreis Cochem-Zell abgetippt, weil im Forum von Eisenbahn-Romantik nach einem tragischen Ereignis gefragt wurde. Ich finde, der Text ist auch hier sehr interessant:
Zu den Belüftungsproblemen im Kaiser-Wilhelm-Tunnel gab es im gleichen Forum im Oktober 2006 schon einmal einen sehr interessanten Beitrag von Bernd Groß.Eine verhängnisvolle Tunnelfahrt in Cochem
(Joachim Braun)
Bis zum Beginn des ICE-Zeitalters galt der im Zuge der Bahnlinie Trier – Koblenz liegende Kaiser-Wilhelm-Tunnel mit 4203 m Länge als Deutschlands zweitgrößte Eisenbahnbergdurchfahrt. Er durchschneidet einen Gebirgsvorsprung, den sogenannten Cochemer Krampen, welcher sich zwischen Cochem und Eller weit nach Osten vorschiebt, an der schmalsten Stelle, wo er 4,2 km breit ist, während die im Moseltal um den Berg herumführende Straße eine Länge von 22 km aufweist.
Der zweigleisige Tunnel, welcher einen Querschnitt von 48m² aufweist, steigt von Cochem her auf eine Länge von 2560 m 1:200 an, verläuft anschließend 1288 m waagrecht, um dann zum Tunnelmund Eller weiter 1:300 zu steigen. Der Höhenunterschied zwischen den Portalen beträgt 14 m. Der Baubeginn erfolgte am 15. Mai 1875 auf der Ellerer Seite, und am 10. August desselben Jahres auf der Cochemer Seite. Am 19.5.1879 ging der Tunnel gleichzeitig mit der Strecke Trier – Koblenz in Betrieb. Zur Entlüftung der Tunnelröhre, welche seit der Inbetriebnahme von einer beständig wachsenden Zahl immer schwererer Züge befahren wurde, dienten ein mehr bei Eller im Berg abgeteufter 230 m hoher Entlüftungsschacht von 4 m Durchmesser sowie 10 Schraubenlüfter System Siemens-Betz, welche erst 1937 eingebaut wurden und das vorher vorhandene mangelhafte Gebläse ersetzten. Aus dem Abzugsschacht aufsteigende starke Rauchwolken vermittelten ein Bild von der Lage, in der sich die Lokomotivpersonale bei der Tunneldurchfahrt bis zum Ende der Dampflokzeit 1973 befanden. Unter diesen Bedingungen geriet in den Abendstunden des 22. November 1948 der Führerstand einer Lokomotive im Tunnel in Brand, und nur durch den selbstlosen Einsatz des Lokomotivführers gelang es, die unvermeidbar erscheinende Katastrophe zu verhindern. Diese Ereignisse sollen nun nach Einsicht in die Unfallakte dargestellt werden.
Der Schnellzug D 21 zur Fahrt von Paris Est nach Koblenz hatte Wasserbilligerbrück planmäßig um 17.39 Uhr verlassen und traf pünktlich um 18.34 Uhr in Trier Hbf ein. Die Lokomotive 50 2871 vom Bw Trier wurde abgekuppelt und rollte in das Heimatbetriebswerk. Nach dem Beistellen zusätzlicher Wagen stieg das Zuggewicht auf 525 t. Etwa 700 reisende, darunter 200 Angehörige der französischen Besatzungsmacht, benutzten an diesem Abend den D 21. Die vom Bw Trier für die Bespannung des Zuges vorgesehene Lokomotive mußte wegen eines Tragfederbruches am gleichen Tag abgestellt werden. Deshalb teilte der Lokdienstleiter die eben von einer Fahrt zurückgekehrte Lok (150 Z 2059) ein. Bei der beschleunigten Ausführung dieser Maschine im Bw Trier verletzte sich ihr Lokomotivführer so schwer am Kopf, daß er ausfiel. So mußte sein Kollege August Vochtel, der eigentlich einen Güterzug nach Apach fahren sollte, die Lokomotive übernehmen. Nach dem Anstellen der Lichtmaschine brannten sämtliche Glühlampen durch. Daher brachte das Lokpersonal an der Zugspitze zwei Petroleumlampen an; zur Beleuchtung von Kesseldruckmanometer, Wasserstandsanzeigen und Buchfahrplan hängte Lokführer und Heizer im Führerstand ihre Karbidlampen auf, eine Maßnahme, mit der man von den zurückliegenden Kriegsjahren her wohlvertraut war. Die Abfahrt in Trier erfolgte um 19.07 Uhr mit 25 Minuten Verspätung. Bis Bullay konnte man 8 Minuten aufholen. Hinter Bullay beschickte Lokheizer Peter Felten vom Bw Trier zum letzten Mal das Feuer. Um 20.29 Uhr durchfuhr man Eller, der Heizer öffnete den Hilfsbläser, und dann rollte D 21 mit dem vorgeschriebenen Pfeifsignal in den Kaiser-Wilhelm-Tunnel. Die Fahrgeschwindigkeit betrug 70 km/h.
Etwa in km 48,9 bemerkte Vochtel kurz nach Schließen des Reglers im Führerhaus, überwiegend auf seiner Seite, lauter kleine Stichflammen, die er später bei der Vernehmung mit der Flamme eines autogenen Schweißapparates verglich. Diese Stichflammen strömten eine unheimliche Hitze aus, und kaum zwei Sekunden später stand der Führerstand in hellen Flammen. Ein Abbremsen des Zuges war nicht mehr möglich. Der Heizer, der links aus dem Fenster sah, gab zu Protokoll, er habe im Rücken eine starke Hitze verspürt. Unmittelbar darauf sei es ganz hell geworden. Als er sich umdrehte, stellte er fest, daß das Führerhaus und die Kleider des Lokführers in Flammen standen. Während er sich Vochtel näherte, um ihm zu helfen, kletterte dieser schon auf der rechten Seite aus dem Führerstand. Das Führerbremsventil konnte der Heizer infolge der Flammen und der starken Hitze nicht erreichen. So rollte der Zug ungebremst im Gefälle den hinter dem Tunnel liegenden Weichenstraßen des Bahnhofs Cochem zu. Vochtel stand jetzt mit brennender Kleidung auf dem Tritt außen am Führerstand und versuchte durch das Seitenfenster greifend das Bremsventil zu erreichen. Dieses Vorhaben mißlang wegen der großen Hitze, und er zog sich dabei schwere Verbrennungen am linken Arm und im Gesicht zu. So stieg der Lokführer nun über den Laufsteg am Kessel entlang hinter dem Windleitblech hindurch zur vorderen Pufferbohle hinab und öffnete hier mit dem Fuß vorsichtig den Lufthahn. Als der Zug zum Stehen gekommen war, kletterte Vochtel mit letzter Kraft von der Lok.
Der Zugführer wurde auf die Vorgänge erst aufmerksam, als D 21 etwa 300 m vor dem Cochemer Portal im Tunnel anhielt. Er begab sich sofort zur Lok und sah hier den verlassenen, in Flammen stehenden Führerstand. Im Fahrgleis vor der Lok traf der Zugführer auf den schwerverletzten Lokführer Vochtel. Da seine Kleidung verbrannt war, hängte er ihm den Uniformrock um und führte ihn zum Bahnhof Cochem. Am ersten Tunnelfernsprecher benachrichtigte er den Fahrdienstleiter von dem Unglück, bestellte einen Krankenwagen und veranlasste die Sperrung beider Gleise.
Zufällig befand sich an diesem Abend der maschinentechnische Beamte Helmut Unnold von der ED Trier im D 21. Im Rahmen einer Dienstreise war er zum EAW Kaiserslautern unterwegs. Nach dem unerwarteten Halten des Zuges ging er nach vorne, wo er im ersten Wagen den verletzten Heizer fand, der ihm den Unfallhergang schilderte. Unnold bestieg den brennenden Führerstand und löschte mit Hilfe des Kohlenspritzschlauches den Brand weitgehend. Danach fuhr er den Zug unter Begleitung eines Zugschaffners in den Bahnhof Cochem, wo immer noch schwelende Holzteile endgültig gelöscht wurden. Lokführer Vochtel und Heizer Felten brachte man sofort mit einem Wagen in das Cochemer Krankenhaus. Das Bw Cochem stellte die 50 2726, mit der D 21 um 21.35 Uhr weiterfuhr und um 22.25 Uhr mit 73 Minuten Verspätung in Koblenz Hbf eintraf. Die Mehrzahl der Reisenden dürfte von den dramatischen Vorgängen im Kaiser-Wilhelm-Tunnel wohl erst in den folgenden Tagen aus Zeitungen und Illustrierten erfahren haben.