„Auftragszettel 163“ (Teil 1)
August 1998. Mein Arbeitgeber, die Frankfurt-Königsteiner Eisenbahn, hat mich wieder einmal an die Konzernschwester Butzbach-Licher Eisenbahn ausgeliehen. Da bei der BLE durch die Aufnahme von Neuverkehren im Auftrag des Rhein-Main Verkehrsverbundes alle personellen Kapazitäten gebunden sind, fahre ich seit Mai für „BLE-Cargo“ die Dienstschicht 401. In diesem Tagesdienst sind alle Güterzugleistungen im Bereich der BLE zusammen gefasst.
Als Höhepunkt steht am Nachmittag der Wagenaustausch mit der DB im Friedberger Güterbahnhof auf dem Programm.
Für diese Aufgaben stehen bei der BLE zu diesem Zeitpunkt drei Loks zur Verfügung:
Die von der Siegener Kreisbahn stammenden Jung Loks V13 und V17, beide vom Typ R 42 C. Außerdem die V100PA32, deren Geschichte als V32 bei der Hersfelder Kreisbahn begann. Hierbei handelt es sich, wie schon die Betriebsnummer vermuten lässt, um eine von nur 10 gebauten V100PA aus dem Hause MaK, auch als Werkstyp MaK 1300BB bekannt.
Von den anderen neun V100PA, die bis zur Rahmenoberkante im übrigen mit der DB V100 weitgehend identisch sind, unterscheidet sich unser Exemplar durch einen zweiten Schornstein auf der Heizkesselseite. Da nämlich bei ihrer früheren Einsatzbahn auch lokbespannte Reisezüge zu fahren waren (zumindest in den ersten Jahren), ließ die damalige Hersfelder Kreisbahn ihre Lokomotive mit einem Dampfheizkessel analog der DB V100 ausrüsten.
Der erste Teil des Tages wird am Vormittag mit den kleineren und damit wendigeren Jung-Loks abgewickelt; dass die von meinem früheren Arbeitgeber stammenden Loks außerdem sparsamer mit dem teuren Dieselkraftstoff umgehen ist ein weiterer Aspekt.
Nach dem üblichen Vorbereitungsdienst fahre ich die V13 aus dem Lokschuppen. Nachdem ich das Hallentor geschlossen habe, begebe ich mich in den Aufenthaltsraum, um das Frühstück zu fassen. (Selbiges bringt ein Busfahrer jeden Morgen von einer Metzgerei in Eberstadt mit, die so wie der Zufall es will, über ihre eigene Haltestelle verfügt…)
Nach der Stärkung begeben „Lobo“ (der Rangierleiter) und ich uns zur Leitstelle, um den Auftragszettel für den heutigen Tag zu empfangen.
Folgende Aufgaben verlangt uns der „Auftragszettel 163“ heute Morgen ab:
• Fa. Wulffen 9:15, einen E leer zum beladen bereitstellen
15:15, E beladen abziehen
• Bhf. Ober-Hörgern 1Rs und 1Ks leer abziehen; Butzbach DB abst.
• Sandwerk Gambach 1 Td zum Entladen bereitstellen
• Bhf. Griedel 1 Eaos im Ladegleis bereitstellen
• Fa. BWG 10:15, 1 leeren Res nach Gleis 5 stellen
Na ja, auf den ersten Blick ist das ja nicht allzu viel; aber damit werden wir bis zur Mittagspause schon Beschäftigung haben. Nachdem wir vom Lokschuppengleis ins Hauptgleis umgesetzt haben, fahren wir von Butzbach Ost, kurz FBZO, über Butzbach Nord, wo wir Kopf machen müssen, zum DB-Bahnhof. Aus den hier geparkten Leerwagen suchen wir uns die notwendigen für heute heraus (hier im DB-Bahnhof steht immer eine Anzahl der von uns häufig benötigten Wagentypen bereit). Außerdem nehmen wir die Eingangswagen vom Vortag für das Weichenwerk BWG in Butzbach-Nord -2 mit Schienen beladene Samms- und 3 mit Holz beladene Eaos-Wagen für den Holzhändler in Münzenberg mit.
Nach umfangreichem Rangieren schiebe ich die sortierte Fuhre vom DB-Bahnhof die Rampe hinunter nach Butzbach Nord. Das heißt, den E-Wagen für Dr.Wulffen haben wir hinter der Lok eingereiht. Nachdem der Zug hinter einem Bahnübergang zum stehen gekommen ist, hängt Lobo den Train ab. Nur mit dem jetzt geschobenen E-Wagen fahren wir in den Anschluss des Schrottis…, sorry, heißt heute natürlich Rohstoffverwerters, ein. Wagen abhängen, Lok ins Hauptgleis fahren, Gleissperre zu und Weiche in Grundstellung; dann fahre ich die V 13 wieder an den Zug.
Von Butzbach Nord aus können die Gleise 1-5 der BWG in unserer jetzigen Ausrichtung, Lok Richtung Münzenberg, bedient werden. Also die gesamte Fuhre hinter die Anschlussweiche von Gleis 1/2 geschoben. Danach die beiden mit Schienen beladenen Samms abhängen, den restlichen Zug mit Hemmschuh sichern und dann die Wagen in Gleis 2 passend unter die Kranbahn zum Entladen positionieren geht ruck-zuck. Nach dem hinausfahren Weiche in Grundstellung, Gleissperre nicht vergessen und den Zug wieder anhängen. Der leere Res für Gleis 5 steht passend an der Spitze der Wagenschlange; dadurch kann er mit der ganzen Fuhre gleich in die Montagehalle geschoben werden. Auch hier die obligatorischen Handlungen mit Gleissperren und Weichengrundstellungen.
Dann geht es, vorbei am Betriebswerk der BLE, auf die Strecke in Richtung Münzenberg.
Das Betriebswerk der BLE in Butzbach-Ost mit den LVT-S.
An der Lok 3 beladene Eaos für Münzenberg, dann den Eaos für Griedel. Den Td für das Sandwerk werden wir aus dem „Pool“ der in Gambach bereitstehenden Wagen entnehmen. Da es sich hierbei um Privatwagen der „Deutschen Quarzwerke“ handelt (ja genau, die mit dem türkisen Streifen), kann die DB für diese Wagen keine Standgebühren erheben. Wöchentlich erreichen 5 bis 7 dieser Wagen den Bahnhof Gambach. die dort abgestellt und nach und nach dem Sandwerk zugeführt werden.
Mit den erlaubten 30 km/h lasse ich den kurzen Zug das Gefälle hinab nach Griedel rollen. Hier angekommen parken wir den Eaos im Ladegleis. Auch diese Rangierbewegungen führe ich mit dem gesamten Zug aus, um Lobo unnötige Kuppelei zu ersparen; außerdem ist der Wagen passend am Zugschluss eingereiht.
Weichen und Gleissperren wie schon beschrieben, dann zuckeln wir weiter in Richtung Münzenberg. In Ober-Hörgern fahren wir dann den gesamten Zug aus Richtung Münzenberg ins Lade- und Umfahrgleis und kuppeln die dort stehenden Res und Ks an. Mit der Lok umfahre ich den Zug durchs Hauptgleis. Anhängen und Bremsprobe, dann den Zug zurück ins Hauptgleis. Lobo stellt die schon mehrfach erwähnte Grundstellung her und dann geht es geschoben weiter nach Münzenberg.
Öberhörgern
Ankunft in Münzenberg
Rangieren in Münzenberg
V13 in Münzenberg
Hier angekommen klärt Lobo mit den „Holzwürmern“ ab, wo die Neuankömmlinge abgestellt werden sollen und welche Wagen umrangiert werden müssen. Nach diversen Rangiermanövern fahren wir dann mit den beiden Leerwagen und 2 mit Holz beladenen Eaos Wagen für den Ausgang am Nachmittag zurück in Richtung Butzbach.
In Gambach halte ich den Zug 2 Wagenlängen vor der Anschlussweiche des Sandwerkes an. Lobo hängt die Lok ab und wir fahren in den Bahnhof Gambach, um dort aus dem Ladegleis einen der dort stehenden Td abzuziehen. Dieser wird dann über das lange Anschlussgleis ins Sandwerk geschoben. Hier parken wir den Wagen über dem Entladebunker. Das Entladen geht geschwind und schon bald können wir mit dem Wagen wieder an unseren Zug ins Hauptgleis fahren.
Aufmerksamen Lesern durfte aufgefallen sei, dass sich der Td jetzt auf der falschen, nämlich der Butzbacher Seite befindet. Was nun? Die Lösung ist recht einfach, wenn auch nicht ausdrücklich erlaubt (aber was nicht ausdrücklich verboten ist…): Den Wagen Richtung Butzbach ins Hauptgleis, die V13 wieder im Anschluss versteckt, Lösezug der Wagenbremse betätigen und „rolle rolle roll“, durch das Gefälle rollt der Wagen wie die Scheppertonnenarmee der Augsburger Puppenkiste den Hang, quatsch, natürlich das leichte Gefälle, herab Richtung Münzenberg bis an die dort im Hauptgleis passend stehenden Wagen und wird von Lobo mit einem Hemmschuh gekonnt abgebremst
Jetzt mit der Lok ins Streckengleis, alles passend geschoben und während „Lobo“ das Ganze zu einem Zug kuppelt lege ich die Anschlussweiche in Grundstellung und schließe selbige ab (die Gleissperre befindet sich weiter oben im Werksgelände).
Nach der Bremsprobe geht es mit der Fuhre gemütlich in Richtung Butzbach.
Rangierarbeiten mit den geliehenen LVT-S, die derzeit zwischen Friedberg und Friedrichsdorf zum Einsatz kommen, im Bereich des Bahnhofs FBZO (hier werden die grau/roten, im internen Sprachgebrauch nur „Einbauküchen“ genannten Triebwagen gewartet), lassen unsere Fahrt aber vorerst in Griedel enden.
Die Fuhre in Griedel
Nach kurzer Beratung entscheiden Lobo und ich uns dafür, die Wagen in Griedel stehen zu lassen und als Lz nach FBZO zu fahren. Die Wagen werden wir dann am Nachmittag mit der großen V100 hier abholen.
Nachdem der Zugleiter zugestimmt hat, fahren wir dann nach FBZO. Hier tanke ich die Lok; außerdem führe ich eine Nachschau durch und stelle noch geschwind die Bremse nach.
Bei BLE-Cargo „darf“ der Lokführer nämlich kleinere Wartungsarbeiten an den Loks selber ausführen; aber das kenne ich ja auch schon aus Siegen. Dann stelle ich die V13 im oberen Lokschuppen bis zum nächsten Einsatz ab.
Teil 2 folgt in Kürze
Edit(h) hat Bilderlicks eingefügt