„Sägen in Siegen“
Herbst 1986, ein Dienstag, 05.30h, der Wecker reißt mich unsanft aus den Träumen…
Ein Blick aus dem Fenster -Waschküche übelster Sorte. Ein Sch...wetter, gerade auch für uns Eisenbahner. Trotz allem, es hilft ja nichts. Aufstehen, Morgentoilette, Tasche packen und dann zur Arbeit fahren.
Kurz vor halb sieben erreiche ich die Betriebswerkstatt Eintracht der Siegener Kreisbahn. Hier hat morgens nur ein Lokführer Dienstbeginn -und der bin zur Zeit ich. Durch die Schuppentür betrete ich den Lokschuppen, da stehen sie: Die Reservelok Nr.13, die Planlok Nr19 und nebenan in der Werkstatt die Nr.18, deren Hauptuntersuchung inclusive neuer Lackierung nahezu abgeschlossen ist.
Ich stelle meine Tasche auf den Führerstandsboden der Lok 19 und gehe dann in den Sozialraum, um mich umzuziehen. Wohlige Wärme umfängt mich, am Tisch sitzt Horst, der Zugführer (eigentlich Rangierleiter, aber ich habe es schon beschrieben: Die „alten“ Herren bestanden auf der Bezeichnung Zugführer) und stopft seine Pfeife. Nach kurzer Begrüßung ziehe ich meinen Kittel über und gehe wieder herunter in die Lokhalle. Mein Arbeitstag beginnt mit dem Vorbereitungsdienst an der Lok -Ölstände und Sand kontrollieren, ggf. auffüllen und die Sichtkontrolle der Lok.
Lok 19 vor dem Lokschuppen im Bahnhof Eintracht
Kurz vor 7 Uhr öffnet Horst das Schuppentor und ich fahre die Lok aus der Lokhalle. Während ich durch den Bahnhof zum Stellwerk „säge", schließt Horst das Hallentor und kommt dann zu Fuß zum Stellwerk. Nach kurzer Begrüßung des Fahrdienstleiters fahren wir nach Siegen DB, um dort die für uns bestimmten Wagen abzuholen. Wir sind jetzt zu dritt, Martin, der Rangierer, kam heute etwas knapp, was seiner in der Regel guten Laune keinen Abbruch tut. Nur das Wetter findet auch er nicht so ganz toll, aber was soll`s, gefahren werden muß ja trotzdem.
In Siegen läßt uns der Fahrdienstleiter sofort an die für uns bestimmten Wagen und nachdem ich die 19 vorsichtig an die Wagengruppe gefahren habe gehen Martin und Horst an die Arbeit. Während Horst die Wagenliste schreibt, kuppelt und schlaucht Martin an und macht mit mir die Bremsprobe.
Vier leere E, zwei leere Kbs, ein Fc mit Eierbrickett, ein beladener Gbs und zwei leere Taems Schwenkdachwagen sind für heute die gesamte Fuhre. Nachdem Horst und kurz darauf auch Martin wieder auf der Lok sind, melde ich uns beim DB-Fdl fahrbereit.
Mit gemütlichen 30 km/h zuckeln wir die knapp zwei Kilometer zum Bahnhof Eintracht.
Wie immer sind die Wagen bunt gereiht, so daß erst einmal Sortieren angesagt ist. Horst begibt sich zum Stellwerk um mit dem Fahrdienstleiter den Ablauf zu besprechen, Martin kuppelt die Lok ab und wir umfahren den Zug.
Lok 19 mit mit dem Eingang erreicht den Bahnhof Eintracht
In der Regel rangieren wir in Eintracht über den Siegener Kopf, da hier die Weichen vom Stellwerk bedient werden -eine nicht unerhebliche Arbeitserleichterung für Zugführer und Rangierer.
Dann wird die Fuhre zerlegt: Zuerst die 4 E-Wagen nach Gleis 5; dort stehen schon 2 weitere auf Vorrat. Später werden wir dem Schrotthändler an der Bahnhofseinfahrt aus diesem Pool die von ihm benötigte Anzahl zustellen.
Nach Gleis 3 kommen die beiden Taems und einer der beiden Kbs; diese werden im Laufe des Vormittags der Fa. Flender zugestellt.
Der andere Kbs kommt gemeinsam mit dem Fc für den Brennstoffhändler ins Ladestraßengleis.
Der Gbs wird letztendlich auf dem Ladegleis der Bahnmeisterei erwartet.
Was sich im ersten Moment ziemlich einfach anhört kann im wirklichen Leben manchmal kompliziert sein: Im Ladestraßengleis steht nämlich noch ein teilentladener Fc von gestern…
Also Fc und Kbs auseinander hängen, zum Ladegleis fahren, den dort stehenden Fc anhängen, zurück zum Kbs, diesen anhängen und nach Gleis 7 auf die Gleiswaage. Nach dem Verwiegen des „neuen“ Fc zurück ins Ladegleis. Hier wird der Kbs schön passend unter den Überladekran gestellt und danach werden die beiden Fc so an der Ladestraße geparkt, daß sich die beiden Kohlenhändler beim Ausladen nicht in die Quere kommen.
Jetzt kommt der aufregendste Teil des Vormittags: Die Anschlussbedienung der Firma Flender. Warum aufregend? Bei der Bedienung werden wir auf etwa 300 Metern zur „Straßenbahn“ auf der B 62, da das Gleis hier in Längsrichtung im Straßenplanum verläuft. Dieser Gleisverlauf ist das letzte Restchen der einstmals stolzen Eisern-Siegener- Eisenbahn, die überwiegend dem Straßenverlauf folgte. Da diese Betriebsform im Bereich der ehemaligen Eisern-Siegener Eisenbahn sich in größerem Umfang bis in die 1970er Jahre hielt, haben fast alle Loks der SK gelbe Rundumkennleuchten auf dem Dach, und wohl einmalig in Deutschland, an den Aufbauecken Blinker zum anzeigen der Abbiegerichtung!!
Jetzt,gegen 9.15h, ist die Rushhour auf der B 62 schon fast zu Ende. Unter Ausnutzung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h geht es zwischen den Autos geschoben zum Anschluß der Fa.Flender, wo wir schon sehnsüchtig erwartet werden; geschoben deshalb, da man im Anschlußgleis nur unter erschwerten Bedingungen den Wagenpark umfahren könnte. Das Verschieben der Wagen im Anschluß wird durch die „Flenderbuben“ fallweise mittels eines Gabelstaplers erledigt, so daß wir die Wagen nur parken müssen.
Die Taems werden bis zum Nachmittag mit Vierkantrohren für eine Möbelfabrik beladen sein. Auf den Kbs warten schon zwei Güllefässer der Marke „Siegperle“ (welch ein Name für solche Produkte).
Nachdem Martin die Lok abgekuppelt hat, fahren wir -wieder als Straßenbahn- zurück zum Bahnhof Eintracht.
Mittlerweile hat sich das Wagenbüro schon beim Schrotthändler nach dessen Wagenbedarf erkundigt: „Fünf E-Wagen für den Kuckuck“ (warum zum Teufel nennen den eigentlich alle „Kuckuck“? Keiner weiß es, alle tun es...). Mit dem schon im Anschluß befindlichen Wagen also sechs Wagen, blöd nur, dass der Anschluss nur Platz für maximal 3 Wagen Platz hat!!
Also holen wir erstmal 2 Wagen aus Gleis 5 und fahren damit zum Anschluß. Nachdem Martin den dort stehenden Wagen angekuppelt hat, beginnen zwei Bagger mit der Beladung und nach etwa 20 Minuten sind alle drei Wagen gefüllt.
Diese fahren wir erst einmal nach Gleis 7 hinter die Gleiswaage; das Verwiegen erfolgt aber erst am Nachmittag mit allen anderen zu verwiegenden Wagen in einem Abwasch.
Nachdem Martin die Wagen vom Zug gelöst hat, setze ich die Lok nach Gleis 5 um. Hier treffe ich ihn dann wieder, und er hängt die drei noch fehlenden Wagen an die Lok. Jetzt noch geschwind die Wagen ins Anschlußgleis bugsiert und dann ab mit der Lok in den Lokschuppen. Mittlerweile ist es 11 Uhr geworden; so spät wie schon lange nicht mehr.
Während Horst seinen Papierkrieg (Fahrtbericht,Wagenliste etc.) erledigt und Martin einige Weichen im Bahnhofsbereich schmiert, tanke ich die Lok auf und fülle Öl in die Stangenlager an der doch schon recht betagten Jung-Lok (1961/13289) nach. So bleibt dann noch Zeit für ein Schwätzchen mit den Lokschlossern und gemeinsam mit dem Werkstatt- und Bahnhofspersonal sowie dem Wiegemeister verbringen wir die Mittagspause; ab 13 Uhr geht’s dann auch für uns wieder los.
Die frisch hauptuntersuchte, aber noch nicht abgenommene Nr. 18 vor der Werkstatt
Lok 19 und Lok 18 vor dem Lokschuppen Eintracht
Da die Wagen beim „Kuckuck“ schon fertig beladen sind holen wir diese als erste ab und stellen sie zu den anderen hinter die Gleiswaage. Dann geht es erneut zur Firma Flender; hier stehen die Wagen jetzt im Anschluß verteilt. So kuppelt Martin zuerst die beiden Taems an die Lok und mit diesen fahren wir dann weiter zum Kbs. Ankuppel, Bremsprobe und geschwind zurück nach Eintracht. Da auch die beiden Schwenkdachwagen verwogen werden müssen wird der ganze Kram direkt an die sechs E-Wagen gekuppelt -ein Glück daß das Wiegegleis so lang ist.
An den Wagen im Ladegleis wird noch munter gewerkelt, so werden sowohl die beiden Fc wie auch der Kbs erst morgen an die DB übergeben werden.
Jetzt kommt die kniffligste Aufgabe des Tages:das Verwiegen der ausgehenden Wagen.
Während Horst die Waage bedient (der vorhin erwähnte Wiegemeister ist nur für die Straßenwaage an der Ladestraße zuständig) steht Martin draußen und weist mich ein, so daß alle Wagen passend auf der Wiegebrücke zum stehen kommen.Wagen für Wagen wird so gewogen; die ganze Angelegenheit dauert etwa 30 Minuten.
Während Horst dann mit den Wiegekarten im Bahnhofsbüro verschwindet (hier werden jetzt die Frachtbriefe erstellt), setzte ich mit Martin den Zug nach Gleis 3 um. Der Bahnmeister signalisiert uns daß der G-Wagen fertig entladen ist. Da er ein netter Mann ist,holen wir den Wagen noch ab und setzten ihn (den Gbs,nicht den Bahnmeister...) auf die Zugspitze.
Da die Übergabe nach Siegen im Regelfall geschoben wird, umfahren wir den Zug durch Gleis 4.
Nachdem Martin die Lok angehängt hat erfolgt die obligatorische Bremsprobe. Nach Durchführung selbiger begeben wir uns zum Stellwerk, um die Wartezeit auf die Frachtpapiere bei einem kleinen Plausch mit dem Fahrdienstleiter zu verkürzen.
Gegen 15 Uhr erscheint dann Horst mit den Zugpapieren im Stellwerk. „Fertig“ meint er „es kann Losgehen“. Auf dem Weg zum Stellwerk hat er schon die eine Seite des Zuges bezettelt, jetzt auf dem Weg zur Lok klemmt er auf der anderen Zugseite die Zettel in die Halter. Martin steht auf dem ersten Wagen, der Fahrdienstleiter hat die Schranken am „Stumme-Loch-Weg“ geschlossen und uns bei der DB in Siegen angemeldet.
So geht es dann geschoben nach Siegen DB.
Lok 19 mit einem Ausgangzug am Nachmittag
Am vorgesehenen Halteplatz angekommen bremse ich den Zug sanft zum Stillstand. Da Martin ja noch von der Zugspitze zur Lok laufen muß, kuppelt Horst die Lok ab,bevor er die Frachtpapiere am dafür vorgesehenen Platz deponiert.
Lz geht es wieder zurück nach Eintracht; der Feierabend naht. Horst schert schon am Stellwerk von der Lok um, seinen Fahrtbericht abzugeben, Martin steigt am Lokschuppen ab um mir das Tor zu öffnen. Nachdem ich die Lok auf dem vorgesehenen Abstellplatz geparkt habe, führe ich noch den Abschlußdienst durch (Übergabebuch ausfüllen, Leerkilometer und Tachoscheibe ausrechnen usw.).
Kurz nach 15.30 Uhr geht es dann nach Hause.
Selten holte auch die DB mit ihrer Siegener Rangierlok, meistens einer Lok der Baureihe 260/261 den Ausgang ab:
260 573 im Bahnhof Eintracht
// Hartmut