Der Posten 22 in Gau-Algesheim war einer der neuralgischsten Bahnübergänge der Rheinstrecke.
Schon 1951 hatte man ermittelt, daß der BÜ von 24 Stunden täglich 13 Stunden geschlossen und zusammengerechnet nur 11 Stunden geöffnet war. Über ihn führte die vielbefahrene B 41, gleichzeitig ging hier die zweigleisige Strecke nach Bad Kreuznach ab, aufgrund des starken Personen- und Güterverkehrs auf beiden Strecken gab es tagsüber oft eine Zugfolge im Drei-Minuten-Abstand.
Der Bf Gau-Algesheim besaß damals ein mechanisches Stellwerk mit zwei Wärterstellwerken in der Straße "Am Heutor" und an der "Sanderbrücke" kurz vor Ingelheim sowie dem Fdl-Stellwerk im Empfangsgebäude.
Der BÜ auf dem Bahnhofsgelände wurde von einem Wärter bedient, der in einer Wellblechbude zwischen Gleis 3 und Gleis 4 ansässig war. In der Hauptverkehrszeit war der Autoverkehr hier so stark und betriebsgefährdend, daß sich regelmäßig Beamte der Gendarmeriestation Gau Algesheim positionieren mußten um z.B. Verkehrsteilnehmer, die trotz sich senkender Schranken eilig weiterfuhren, jenseits des BÜ gebührenpflichtig zu verwarnen. (5 Mark waren dann fällig, gemessen an der Kaufkraft in etwa heute 40 Euro).
Ein besonders eifriger Beamter war Gendarmeriehauptwachmeister Boos, der nicht selten bis zu 15 angehaltene Fahrzeuge pro Stunde schaffte.
Mitte der 1950er Jahre war das ganze Geschehen hier für alle Beteiligten derart nervenaufreibend, daß man etwas schaffte, was schon damals, aber erst recht gemessen an heutigen Bauprojekten dieser Art sensationell war: Innerhalb von zwei Jahren -vom Beginn der Planungen bis zur Fertigstellung- realisierte man ein Überführungsbauwerk und es konnte im Juli 1958 eingeweiht werden.
Bahnhofsvorsteher Walter Schmidt sowie sein Stellvertreter Fritz Bieser samt aller Mitarbeiter konnten fortan um einiges erleichterter ihren Dienst verrichten, denn es war in all den Jahren nach dem Krieg zum Glück trotz des "explodierenden" Straßenverkehrs nie zu einem Unfall gekommen.
Das mechanische Stellwerk wurde dann 10 Jahre später, am 4.Dezember 1968 durch ein SpDr60-Stellwerk Bauart Lorenz ersetzt, das heute noch fast unverändert seinen Dienst tut. Lediglich ein Selbststellbetrieb für die Gleise der Rheinstrecke sowie ein Felderblock Richtung Büdesheim-Dromersheim (nach Auflassung des Bf Ockenheim 1978) wurden später hinzuinstalliert.
Die nachfolgenden Bilder stammen aus dem Nachlaß von Gau-Algesheimer Eisenbahnerfamilien und ich freue mich, sie Interessierten hier im Forum präsentieren zu können.
Der Posten 22 von der Baustelle der Überführung aus.
Die beiden Gleise 1 und 2 rechts: Von und nach Bad Kreuznach, dann Gleis 3 (Ri Mainz) und Gleis 4 (Ri Bingen). Zwischen Gleis 3 und 4 die Wärterbude.
Der BÜ als Bundesstraße 41, Blickrichtung Ingelheim in Gau Algesheim. Eine damals typische Szene. Dem Fahrer des amerikanischen Straßenkreuzers geht es nicht schnell genug - er überholt mitten in der Ortslage und noch auf dem Bahnübergang.
Hinten links das legendäre Gasthaus Winzerhaus - eine auch bei Eisenbahnern beliebte Einkehrmöglichkeit.
Noch in derselben Stunde, in der die Überführung eingeweiht wird, wird der BÜ endgültig geschlossen.
Ein großes Aufatmen bei allen Gau Algesheimer Eisenbahnern.
Der Posten 22 in Gau-Algesheim
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Der Posten 22 in Gau-Algesheim
SOLANGE NICHT DIE KULTUSMINISTERKONFERENZ EINE EINSTWEILIGE VERFÜGUNG ERWIRKT UND SIE MIR PERSÖNLICH AN DER HAUSTÜR ÜBERREICHT,BLEIBE ICH BEI DER ALTEN RECHTSCHREIBUNG.
Re: Der Posten 22 in Gau-Algesheim
Spannend! Ich wusste gar nicht, dass es an dieser Stelle mal einen BÜ gab.
Mich hat als Kind immer die Fahrt über die (damals wohl neue) Brücke fasziniert, von der man so einen schönen Ausblick auf die Bahnstrecke hat!
Gibts die Fotos auch in großer Auflösung? So erkennt man ja leider nur wenig...
Bye. Flo.
Mich hat als Kind immer die Fahrt über die (damals wohl neue) Brücke fasziniert, von der man so einen schönen Ausblick auf die Bahnstrecke hat!
Gibts die Fotos auch in großer Auflösung? So erkennt man ja leider nur wenig...
Bye. Flo.
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Re: Der Posten 22 in Gau-Algesheim
Ja, gibt es, auf Rainer Bertrams Seitesflori hat geschrieben: Gibts die Fotos auch in großer Auflösung? So erkennt man ja leider nur wenig...
Bye. Flo.
http://stadt-wandel.jimdo.com/
Man findet die Bahnbilder unter "Straßenauswahl" (Mainzer Straße) und "Archiv".
Übrigens: Die Wellblechbude des Postens 22 tat noch etwa 30 Jahre nach Schließung des BÜ Dienst als Feldhäuschen auf dem Obstfeld eines der Schrankenwärter und sie "wanderte" hierzu lediglich etwa einen Kilometer nach Westen in die Gemarkung unweit der "Kreiznacher Streck".
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Re: Der Posten 22 in Gau-Algesheim
Super!Horst Heinrich hat geschrieben:Ja, gibt es, auf Rainer Bertrams Seitesflori hat geschrieben: Gibts die Fotos auch in großer Auflösung? So erkennt man ja leider nur wenig...
Ich bin ja fasziniert davon, wieviele Menschen davor standen, als der BÜ geschlossen wurde...
Deeplink:
http://stadt-wandel.jimdo.com/stra%C3%9 ... ra%C3%9Fe/
Bye. Flo.
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Re: Der Posten 22 in Gau-Algesheim
Die Schließung war den meisten Menschen auch ein großes Anliegen. Man muß bedenken, daß den BÜ auch noch viele Nebenerwerbsobstbauern frequentieren, die die Markthalle unweit des Winzerhauses zum Ziel hatte. Oft reichte die Zeit zwischen zwei Zügen kaum, den Übergang mit einem vollbeladenen Handwagen oder einem Pferdegespann zu passieren.sflori hat geschrieben:Ich bin ja fasziniert davon, wieviele Menschen davor standen, als der BÜ geschlossen wurde...
Da ergab sich oft folgende betrieblich brenzlige Situation:
Da die drei Ausfahrsignale Richtung Westen und das Richtung Ingelheim erst gestellt werden konnten, wenn der BÜ geschlossen war (worauf sich der im EG ansässige Fdl per Augenschein überzeugen mußte, dann erst konnte er den beiden Stellwerkswärtern die Fahrstraße freigeben und es dauerte entsprechend, bis alle Hebel gezogen waren) mußten vor allem die auf der Rheinstrecke mit bis zu 130 km/h herannahenden TEE- oder D-Züge angesichts der Vr0 zeigenden Vorsignale regelmäßig abbremsen. Sie kamen -je nach Lokbespannung (es wurden noch viele Personenzugleistungen mit Dampf gefahren, die Durchgangsgüterzugleistungen mehrheitlich sowieso) danach nur schwer wieder in Fahrt. Verspätungen waren die Folge, vor allem bei den nachgeordneten Zügen.
Gau Algesheim war daher eine betriebliche "Sollbruchstelle" und verlangte allen Beteiligten ein Höchstmaß an fachlicher, aber auch körperlicher "Fitness" ab (z.B. Muskelkraft beim Einstellen von mehr als 100 Fahrstraßen pro Schicht).
Viele Bürger wichen auch auf den Posten 21 aus. Er befand sich in der Straße "Am Heutor", wurde vom Stellwerk I direkt nebenan mitbedient, nahm aber auch den ganzen Verkehr von Gau-Algesheim nach Bingen auf.
Wie schon erwähnt, es mischten sich noch viele Fußgänger und Fahrradfahrer in das ohnehin hohe Kraftfahrzeug-Verkehrsaufkommen, der Posten 22 war wirklich ein Dorn im Auge von jedem, der ihn regelmäßig zu benutzen hatte und seine Schließung war -was die Bilder ja dokumentieren- ein regelrechtes Volksfest.
Übrigens:
Die Überführung wurde im Juli 1958 schon einmal eingeschränkt in Betrieb genommen, obwohl sie noch nicht ganz fertig war. In den Wochen danach wurde dann die auf dem Bild mit dem Wiesbadener Käfer rechts sichtbare Apotheke Specht abgerissen und ein paar Meter weiter westlich neu errichtet, erst dann konnte die B 41 an dieser Stelle auf ihre reguläre Breite erweitert werden.
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